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Was genau ist Geschlechtsdysphorie? – Eine klare Definition

Der Begriff Geschlechtsdysphorie bezeichnet den klinisch signifikanten Leidensdruck oder das Unbehagen, das eine Person empfindet, wenn eine deutliche Geschlechtsinkongruenz vorliegt. Geschlechtsinkongruenz wiederum beschreibt die Situation, in der das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht (oft basierend auf äußeren Genitalien) nicht mit der eigenen, tief empfundenen Geschlechtsidentität – dem inneren Wissen, welchem Gender man angehört – übereinstimmt. Während Geschlechtsinkongruenz eine deskriptive Bezeichnung für diesen Zustand ist, fokussiert Geschlechtsdysphorie auf den damit verbundenen Leidensaspekt. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht alle Transgender Menschen oder Personen mit Geschlechtsinkongruenz zwangsläufig unter einer klinisch relevanten Geschlechtsdysphorie leiden.

Der Unterschied: Geschlechtsidentität, Geschlechtsinkongruenz und der Leidensdruck der Geschlechtsdysphorie

Diese Begriffe müssen klar unterschieden werden:

  • Geschlechtsidentität: Das tief verwurzelte, individuelle Gefühl, einem bestimmten Geschlecht anzugehören (z.B. männlich, weiblich, nicht-binär). Sie ist ein Kernaspekt der Persönlichkeit.

  • Geschlechtsinkongruenz: Die Nichtübereinstimmung zwischen der Geschlechtsidentität und dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht und/oder den primären/sekundären Geschlechtsmerkmalen.

  • Geschlechtsdysphorie: Der nachweisliche Leidensdruck, der als Folge dieser Geschlechtsinkongruenz entstehen kann. Dieser Leidensdruck ist der Grund, warum eine Diagnose und gegebenenfalls eine Behandlung angestrebt werden.

Viele Trans Menschen identifizieren sich mit ihrer Geschlechtsidentität, ohne zwangsläufig unter schwerer Geschlechtsdysphorie zu leiden, insbesondere wenn sie in einem unterstützenden Umfeld leben und ihre Identität ausdrücken können.

Symptome: Wie äußert sich Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen und Erwachsenen?

Die Symptome einer Geschlechtsdysphorie können vielfältig sein und sich je nach Lebensphase unterscheiden:

  • Ein starker und anhaltend geäußerter Wunsch, dem anderen Geschlecht anzugehören oder als dieses behandelt zu werden.

  • Deutliches Unbehagen mit den eigenen primären und/oder den erwarteten sekundären Geschlechtsmerkmalen.

  • Der Wunsch, die Geschlechtsmerkmale des anderen Geschlechts zu haben.

  • Die Überzeugung, die typischen Gefühle und Reaktionsweisen des anderen Geschlechts zu besitzen.

  • Bei Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen und Erwachsenen kann dies zu erheblichem emotionalem Stress, Angst, Depression und sozialer Isolation führen, wenn die Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlecht (zugewiesen) übereinstimmt.

Diagnose und Klassifikation: Geschlechtsinkongruenz nach ICD-10, ICD-11 und DSM

Die Diagnostik von Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie ist ein sorgfältiger Prozess durch erfahrene Fachleute.

  • ICD-10: In der früheren International Statistical Classification of Diseases (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde dies unter „Transsexualismus“ als „Störung der Geschlechtsidentität“ klassifiziert, was oft als pathologisierend empfunden wurde.

  • ICD-11: Die aktuelle ICD-11 hat hier eine bedeutende Änderung vorgenommen. „Geschlechtsinkongruenz“ wird nun im Kapitel „Zustände mit Bezug zur sexuellen Gesundheit“ geführt und nicht mehr als psychische Störung (Disorder) klassifiziert. Dies unterstreicht, dass die Identität selbst nicht das Problem ist, sondern der mögliche Leidensdruck (Dysphorie) oder die medizinische Notwendigkeit einer Angleichung. Die Diagnose einer Geschlechtsinkongruenz ist Voraussetzung für viele medizinische Schritte.

  • DSM-5: Das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) der American Psychiatric Association verwendet den Begriff „Geschlechtsdysphorie„. Es betont den klinisch signifikanten Leidensdruck oder die Beeinträchtigung in wichtigen Lebensbereichen als diagnostisches Kriterium.

Eine deutsche Leitlinie (S3-Leitlinie) zur Diagnostik, Beratung und Behandlung im Kontext von Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie bietet Orientierung für Fachleute.

Wege der Behandlung und Transition bei Geschlechtsdysphorie

Ziel der Behandlung ist es, die Geschlechtsdysphorie zu lindern und die Übereinstimmung zwischen Körper und Geschlechtsidentität zu erhöhen. Die Transition ist ein individueller Prozess:

  • Soziale Transition: Anpassung des sozialen Auftretens an die Geschlechtsidentität (Name, Pronomen, Kleidung).

  • Medizinische Behandlung (somatische Behandlung):

    • Hormontherapie: Um die sekundären Geschlechtsmerkmale zu verhindern (Pubertätsblocker bei Jugendlichen) oder die des erlebten Geschlechts zu fördern (Östrogene für Trans Frauen, Testosteron für Trans Männer).

    • Operative Maßnahmen: Geschlechtsangleichende Operationen können für viele Trans Menschen ein wichtiger Schritt sein, um die körperliche Geschlechtsinkongruenz und den damit verbundenen Leidensdruck zu reduzieren.

Die Behandlung orientiert sich an internationalen Empfehlungen wie den „Standards of Care“ der World Professional Association for Transgender Health (WPATH).

Psychotherapie und psychologische Unterstützung im Zusammenhang mit der Geschlechtsinkongruenz

Psychologische Begleitung ist oft ein wichtiger Bestandteil, um:

  • Den Leidensdruck der Geschlechtsdysphorie zu bewältigen.

  • Entscheidungen im Transitionsprozess zu unterstützen.

  • Strategien gegen Diskriminierung zu entwickeln.

  • Eventuell begleitende psychische Probleme zu behandeln, die durch Stigmatisierung oder die Dysphorie selbst entstehen oder verstärkt werden können.
    Es geht nicht darum, die Geschlechtsidentität zu ändern, sondern um Unterstützung auf dem individuellen Weg.

Die Bedeutung von Unterstützung und Akzeptanz für Transgender Menschen

Ein unterstützendes Umfeld (Familie, Freunde, Gesellschaft) ist entscheidend für das Wohlbefinden von Transgender Personen und kann helfen, den durch Geschlechtsdysphorie verursachten Leidensdruck zu verringern. Die Akzeptanz der Geschlechtsidentität ist fundamental.

Hilfe und Informationen: Anlaufstellen und die Standards of Care

Betroffene von Geschlechtsdysphorie und ihre Angehörigen finden Hilfe bei:

  • Fachärzt:innen (Endokrinologie, Psychiatrie, etc.) mit Erfahrung in der Trans-Gesundheit.

  • Psychotherapeut:innen mit entsprechender Spezialisierung.

  • Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen.
    Die „Standards of Care der World Professional Association for Transgender Health“ (SOC) sind eine wichtige Ressource für Betroffene und Behandelnde, um eine qualitativ hochwertige Behandlung sicherzustellen. Auch die deutsche S3-Leitlinie bietet umfassende Informationen.

Wichtiger Hinweis
Dieser Beitrag dient der allgemeinen Information über Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie und ersetzt kein persönliches Beratungsgespräch mit einer qualifizierten medizinischen oder psychologischen Fachperson. Nur Fachleute können eine individuelle Diagnose stellen und eine angemessene Behandlung empfehlen.